Quantcast
Channel: Rechtslupe » Verhältniswahlrecht
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Sitzzuteilung bei der Bundestagswahl

$
0
0

Nachdem das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr das gerade erst für die Bundestagswahl 2009 überarbeitete Sitzzuteilungsverfahrens (§ 6 BWahlG) als mit Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG unvereinbar und damit als verfassungswidrig beurteilt und in seinen wesentlichen Bestimmungen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BWahlG) für nichtig erklärt hatte musste dringend eine neue Regelung zur Sitzzuteilung für die nächsten Bundestagswahlen her. Diese wurde sodann in diesem Frühjahr vom Bundestag beschlossen und findet bei der morgigen Bundestagswahl erstmals Anwendung.

Und wie immer, wenn ein politischer Kompromiss gefunden werden muss, bei dem jede Partei glauben muss, dass Sie nicht benachteiligt wird und ihre Pfründe gesichert sind, wird es kompliziert. Da sorgt sich dann die eine Volkspartei, dass sie im Land Brandenburg zwar vielleicht 300.000 Stimmen erhalten könnte, aber dennoch – wenn der Vorschlag einer anderen Partei angenommen werden würde – kein Bundestagsmandat hierfür herauskommen könnte, während sich eine Partei darüber sorgt, dass eventuelle Überhangmandate eher nicht bei ihr, sondern nur bei der Konkurrenz anfallen und so weiter und so fort.

Und da gleichwohl ein Konsens aller demokratischen Parteien gefunden werden sollte – damit nachher nicht wieder einer nach Karlsruhe läuft – kann eine Regelung zustande, die zum einen dafür sorgt, dass Überhangmandate zukünftig keine Rolle mehr spielen können, sondern vollständig ausgeglichen werden, die zum anderen aber auch eine „gerechte“ Sitzverteilung ermöglichen soll, mit der sowohl die kleinen wie die größeren Parteien leben können.

 

 

Die Sitzzuteilung im Überblick[↑]

Die Grundidee der gesetzlichen Neuregelung ist zunächst einmal einfach:

  • Maßgeblich für die Sitzverteilung ist ausschließlich und einzig die Zweitstimme. Die Erststimme bewirkt nur die Wahl eines Wahlkreiskandidaten, ist aber für die parteipolitische Zusammensetzung des zu wählenden Bundestages vollständig ohne Belang.
  • Hierzu werden Überhangmandate – also die Situation, dass eine Partei mit den Erststimmen mehr Sitze erobert als ihr nach dem Verhältnis der Zweitstimmen zusteht – durch eine Vergrößerung des Bundestages vollständig ausgeglichen.

 
Die Neuregelung der Sitzzuteilung hält am Wahlsystem der personalisierten Verhältniswahl fest, bei dem die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl mit der Verhältniswahl von Landeslisten der Parteien kombiniert ist und durch Anrechnung der gewonnenen Direktmandate auf die Listenmandate der Grundcharakter der Verhältniswahl gewahrt wird. Zur Vermeidung des Phänomens des so genannten negativen Stimmgewichts wird sodann

  • die mit dem Neunzehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 eingeführte länderweise Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien – in modifizierter Form – als erste Stufe der Sitzverteilung beibehalten.
  • Zur Vermeidung von Überhangmandaten wird in einer zweiten Stufe der Sitzverteilung die Gesamtzahl der Sitze so weit erhöht, bis bei anschließender bundesweiter Oberverteilung an die Parteien und Unterverteilung auf die Landes listen alle gewonnenen Wahlkreismandate von den Sitzen, die der Partei nach dem Ergebnis der Verhältniswahl zustehen, abgerechnet werden können, so dass im Ergebnis keine Überhangmandate mehr auftreten.

Damit ist die jetzt geltende Sitzzuteilung sicherlich kein Musterbeispiel für eine einfache und stringente Lösung. Aber wie sagte bereits der Abgeordnete Thomas Oppermann bei der ersten Lesung des später beschlossenen Gesetzentwurfs am 14. Dezember 2012 im Deutschen Bundestag:

Es muss nicht unbedingt so sein, … dass jeder Einzelne die komplexe Mechanik des Wahlrechtes versteht.

Im Einzelnen:

Die Ausgangslage[↑]

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 25. Juli 2012 entschieden, dass § 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2a sowie § 6 Absatz 5 BWahlG mit Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG unvereinbar und die beiden erstgenannten Absätze nichtig sind.

Die ersten beiden erstgenannten Bestimmungen (§ 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2a BWahlG) waren mit dem 19. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (19. BWahlGÄndG) vom 25. November 2011 neu in das Bundeswahlgesetz aufgenommen worden. Der Gesetzgeber wollte damit den Regelungsauftrag im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2008 umsetzen, in dem das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Artt. 21 und 38 GG durch den früheren § 7 Absatz 3 i. V. m. § 6 Absätze 4 und 5 BWahlG festgestellt und den Gesetzgeber zu einer verfassungskonformen Neuregelung bis zum 30. Juni 2011 verpflichtet. Der Gesetzgeber hatte sich daraufhin im 19. BWahlGÄndG für den in dem Urteil als eine Möglichkeit der Neuregelung bezeichneten Weg über die Abschaffung der früheren Möglichkeit der Listenverbindung und die Verteilung der Sitze nach Sitzkontingenten der Länder entschieden.

In der neuen Entscheidung vom 25. Juli 2012 billigt das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz den beschrittenen Weg über die Abschaffung der Listenverbindungen und eine Vergabe der Sitze nach Sitzkontingenten der Länder. Es stellt aber einen Verfassungsverstoß fest, weil das in § 6 Absatz 1 Satz 1 i. V. m. Absatz 2 BWahlG geregelte Sitzzuteilungsverfahren infolge der Bildung der Ländersitzkontingente nach der Wählerzahl immer noch dazu führen könne, dass in bestimmten Konstellationen abgegebene Zweitstimmen für Landeslisten einer Partei insofern negativ wirken, als diese Partei in einem anderen Land Mandate verliert oder eine andere Partei Mandate gewinnt oder die Nichtabgabe einer Wählerstimme der zu unterstützenden Partei dienlich ist. Dies sei aber keine zwangsläufige Folge einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl in Listenwahlkreisen; von Verfassungs wegen sei der Gesetzgeber nicht daran gehindert, diesen Ursachenzusammenhang innerhalb des von ihm geschaffenen Wahlsystems zu unterbinden, indem er zur Bemessung der Ländersitzkontingente statt der Wählerzahl die Zahl der Bevölkerung oder der Wahlberechtigten heranzieht. Zudem wurde vom Bundesverfassungsgericht der zur Vermeidung von Rundungsverlusten bei Sitzvergabe nach Sitzkontingenten eingeführte Reststimmenausgleich in der Form des § 6 Absatz 2a BWahlG für ungeeignet und als Verstoß gegen die genannten Verfassungsbestimmungen für nichtig erklärt.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 verstößt außerdem § 6 Absatz 5 BWahlG insoweit gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien, als er das ausgleichslose Anfallen von Überhangmandaten in einem Umfang zulässt, der den Charakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl aufhebt. Zwar hält das Bundesverfassungsgericht an der Rechtsprechung fest, wonach die mit der ausgleichslosen Zuteilung von Überhangmandaten verbundene Differenzierung des Erfolgswerts der Wählerstimmen in begrenztem Umfang durch das besondere Anliegen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gerechtfertigt werden könne, dem Wähler die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der Verhältniswahl Persönlichkeiten zu wählen, die eine enge persönliche Bindung zu ihrem Wahlkreis haben. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass der Grundcharakter der Wahl als einer am Ergebnis der für die Parteien abgegebenen Stimmen orientierten Verhältniswahl aufgehoben werde.

Überhangmandate seien nur in eng begrenztem Umfang mit dem Charakter der Wahl als Verhältniswahl vereinbar. Fielen sie regelmäßig und in größerer Zahl an, widerspreche dies der Grundentscheidung des Gesetzgebers. Wann dies der Fall sei, lasse sich entgegen der Ansicht der die Entscheidung vom 10. April 1997 tragenden Richter nicht allein in Orientierung an dem 5-Prozent-Quorum des § 6 Absatz 6 BWahlG bestimmen. In der neuen Entscheidung vom 25. Juli 2012 sieht das Bundesverfassungsgericht einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Anliegen möglichst proportionaler Abbildung des Zweitstimmenergebnisses im Deutschen Bundestag und dem mit der Personenwahl verbundenen Belang uneingeschränkten Erhalts von Wahlkreismandaten dann nicht mehr als gewahrt an, wenn die Zahl der Überhangmandate etwa die Hälfte der für die Bildung einer Fraktion erforderlichen Zahl von Abgeordneten überschreitet.

Nach der Karlsruher Entscheidung habe sich der Gesetzgeber zwar im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht genannte Orientierung an der 5-Prozent-Sperrklausel nicht zu einem Tätigwerden gezwungen sehen müssen. Ebensowenig hätten ihn die Entscheidungen zum negativen Stimmgewicht zu einer Neuregelung veranlassen müssen. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 1997 hätten sich aber Verhältnisse eingestellt, unter denen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass Überhangmandate regelmäßig in größerer Zahl anfallen, so dass das Wahlrecht zur Wahrung der Wahlrechtsgleichheit um Vorkehrungen gegen ein den Grundcharakter der Wahl als Verhältniswahl verfälschendes Überhandnehmen ausgleichsloser Überhangmandate ergänzt werden müsse. Daraus folge nunmehr eine Handlungspflicht des Gesetzgebers.

1. Stufe: Sitzkontingente nach Bevölkerungszahl[↑]

Der Gesetzgeber des 19. Änderungsgesetzes zum Bundeswahlgesetz hatte sich dafür entschieden, den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 3. Juli 2008 für verfassungswidrig erklärten Effekt des so genannten negativen Stimmgewichts dadurch zu beseitigen, dass die Möglichkeit der Listenverbindung abgeschafft und die den Landeslisten zustehende Sitzzahl separat in den Ländern ermittelt wird.

Den Verzicht auf Listenverbindungen hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008 als eine der Möglichkeiten des Gesetzgebers zur Neugestaltung identifiziert, weil der Effekt des negativen Stimmgewichts aus einem Systembruch des früheren Wahlrechts folgte, in dem einerseits für die Ausnutzung von Stimmresten länderübergreifende Listenverbindungen gebildet wurden, diese aber andererseits nicht die Grundlage der Verrechnung von Wahlkreisund Listenmandaten waren.

In seiner Entscheidung vom 25. Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht den Weg über Ländersitzkontingente und den Verzicht auf Listenverbindungen grundsätzlich gebilligt, wegen des Effekts des so genannten negativen Stimmgewichts aber eine Bestimmung der Sitzkontingente nach Bevölkerungszahl oder Wahlberechtigten in den Ländern für erforderlich gehalten. In der nun erfolgten Neuregelung entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, die Sitzkontingente der Länder, aus denen bei der ersten Stufe der Sitzverteilung die Sitze auf die Landeslisten verteilt werden, wie bei der Verteilung der Wahlkreise auf die Länder (§ 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BWahlG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.2012, Rn. 93 f.)) nach dem Bevölkerungsanteil der Länder (nach § 3 Absatz 1 Satz 2 BWahlG ohne Ausländer) zu bestimmen.

Durch die länderweise Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien soll vermieden werden, dass Stimmenverluste einer Partei im Ergebnis zu einem Zuwachs an Sitzen für die Partei führen können, weil wegen des Stimmenverlusts in der Unterverteilung ein Sitz auf eine andere Landesliste der Partei entfällt, im Verlustland aber wegen gewonnener Direktmandate nicht zu einem Sitzverlust führt. Denn bei länderweiser Sitzverteilung kann der Zweitstimmenverlust einer Landesliste nicht zu einem Zuwachs an Sitzen bei einer Landesliste derselben Partei in einem anderen Land, sondern höchstens zu einem Sitzzuwachs bei der Landesliste einer anderen Partei im selben Land führen. Das ist aber kein inverser, sondern ein folgerichtiger Effekt. Auch die an die Ergebnisse der ersten Stufe der Sitzverteilung anschließende Oberund Unterverteilung der zweiten Stufe wird daher nicht aufgrund einer durch den Effekt des so genannten negativen Stimmgewichts erhöhten Sitzzahl vorgenommen.

2. Stufe: Sitzzahlerhöhung und bundesweite Verteilung nach Parteien[↑]

Um zu vermeiden, dass ausgleichslose Überhangmandate in einem Umfang anfallen können, der den Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl aufhebt, und um das Zweitstimmenergebnis möglichst genau in Sitze umzurechnen, wird in einer zweiten Stufe der Sitzverteilung zunächst die Gesamtzahl der Sitze erhöht, bis alle nach Berechnung der ersten Stufe auftretenden Überhangmandate auf Listenmandate der Partei anrechenbar sind (§ 6 Absatz 5 BWahlG n.F.). Darauf werden – unabhängig davon, ob deren Zahl nach § 6 Absatz 5 BWahlG n.F. erhöht werden musste oder nicht – die nach Absatz 5 Satz 1 zu vergebenden Sitze in einer bundesweiten Oberverteilung zunächst auf Parteien (§ 6 Absatz 6 Satz 1 BWahlG n.F.) und anschließend in einer Unterverteilung innerhalb der Parteien auf deren Landeslisten (§ 6 Absatz 6 Satz 2 BWahlG n.F.) verteilt, wobei in dieser Unterverteilung auf jede Landesliste mindestens so viele Sitze entfallen, wie die Partei im Land Wahlkreissitze gewonnen hat.

Indem für die zweite Stufe der Verteilung die Gesamtzahl der Sitze um die Zahl der Sitze erhöht wird, die in der ersten Stufe nicht nach § 6 Absatz 4 Satz 1 BWahlG anrechenbar waren und nach § 6 Absatz 4 Satz 2 BWahlG n.F. den gewählten Wahlkreisbewerbern und damit deren Parteien verbleiben, ist sichergestellt, dass in der zweiten Stufe der Sitzverteilung alle Wahlkreissitze nach § 6 Absatz 6 Satz 3 BWahlG n.F. auf die Zahl der nach dem Zweitstimmenverhältnis der Partei zustehenden Sitze angerechnet werden können. Die ohne die Sitzzahlerhöhung auftretenden Überhangmandate werden durch Vergabe weiterer Sitze bis zur Herstellung des bundesweiten Proporzes nach dem Verhältnis der Zweitstimmen ausgeglichen. Durch die Erhöhung der Gesamtsitzzahl soll zugleich vermieden werden, dass die nach § 6 Absatz 5 Satz 3 BWahlG n.F. zur Sicherstellung der Anrechenbarkeit aller Wahlkreismandate den Landeslisten mindestens zugeteilten Sitze auf anderen Landeslisten der Partei kompensiert werden müssen. Damit wird dem Ziel Rechnung getragen, föderale Proporzstörungen zu vermeiden.

Die Neuregelung sieht also vor, in der zweiten Stufe der Sitzverteilung die Gesamtsitzzahl so weit anzupassen, dass Überhangmandate im Verhältnis der Parteien zueinander vollständig ausgeglichen werden. Damit entschied sich der Gesetzgeber für einen Vollausgleich aller Überhangmandate. Der Gesetzgeber wollte damit die aus der Prognose des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Zahl der Überhangmandate den hinnehmbaren Umfang auf absehbare Zeit deutlich übersteigen wird, folgende Handlungspflicht erfüllen und die von Verfassungs wegen erforderlichen Vorkehrungen zur Wahrung der Wahlrechts- und Chancengleichheit treffen.

Durch die Vergabe weiterer Sitze nach Erhöhung der Sitzzahl in der zweiten Stufe der Sitzverteilung gemäß § 6 Absatz 5 BWahlG n.F. wird nach Überzeugung der einbringenden Fraktionen nicht der Effekt des negativen Stimmgewichts hervorgerufen. Die Erhöhung der Sitzzahl bis zur Anrechenbarkeit aller Überhangmandate dient dazu, dass die Verteilung der Mandate auf die Parteien vollständig der Summe der Wählerstimmen entspricht und nicht erwartungswidrig im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 mit der auf diese oder eine konkurrierende Partei entfallenden Stimmenzahl korreliert. Durch die Vergabe zusätzlicher (Ausgleichs-)Mandate erhalten zwar auch andere Parteien mehr Sitze, wenn Wahlbewerber einer Partei mehr Stimmen und infolgedessen mehr Wahlkreismandate erzielen, die in der ersten Stufe der Sitzverteilung nicht anrechenbar sind und darum zu einer Sitzzahlerhöhung nach § 6 Absatz 5 BWahlG n.F.führen. Die Vergabe weiterer Sitze auch an andere Parteien entsprechend dem Zweitstimmenergebnis der Verhältniswahl nach einer Sitzzahlvergrößerung zum Verhältnisausgleich stellt aber keine für den Wähler nicht erkennbare Auswirkung seiner Stimmabgabe auf den Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar. Denn der vom Wähler gewählte Wahlkreisbewerber zieht aufgrund seiner direkten Wahl nach § 5 BWahlG in den Bundestag ein. Der Einzug weiterer Abgeordneter anderer Parteien bei der Sitzverteilung nach § 6 Absatz 6 BWahlG n.F. entspricht dem Ergebnis der Verhältniswahl nach Zweitstimmen. Dass der wegen eines unvollständig durchgeführten Verhältnisausgleichs gestörte Proporz durch die Zuteilung von Ausgleichsmandaten wiederhergestellt werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 25. Juli 2012 ausdrücklich festgestellt. Eine Interpretation der Definition des negativen Stimmgewichts, nach der die Zuteilung von Ausgleichsmandaten als solche verfassungswidrig wäre, kann darum nach Ansicht der einbringenden Fraktionen nicht zugrunde gelegt werden.

Folgefrage: Reststimmenausgleich[↑]

Der zur Vermeidung von Erfolgswertunterschieden durch eine Kumulation von Reststimmenverlusten bei einer Sitzverteilung aus 16 Landessitzkontingenten erst mit dem 19. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes neu geregelte Reststimmenausgleich (§ 6 Absatz 2a BWahlG), den das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 25. Juli 2012 im Grundsatz gebilligt, in der konkreten Form aber für ungeeignet und nichtig erklärt hat, kann entfallen, weil durch die immer folgende bundesweite Verteilung der Sitze auf die Parteien (§ 6 Absatz 5 Satz 1 BWahlG) in der neuen zweiten Stufe der Sitzverteilung nun eine erfolgswertoptimale Verteilung der Sitze auf die Parteien sichergestellt ist und sich keine Rundungsverluste kumulieren können.

Folgefrage: Mehrheitssicherungsklausel[↑]

Die so genannte Mehrheitssicherungsklausel des bisherigen § 6 Absatz 3 BWahlG, die sicherstellen soll, dass dann, wenn auf eine Partei im Wahlgebiet eine Mehrheit der Zweitstimmen entfällt, diese Partei auch eine Mehrheit der Sitze im Deutschen Bundestag erhält, kann aus systematischen Gründen erst nach der neuen zweiten Stufe der Sitzverteilung (§ 6 Absatz 6 BWahlG n.F.) geregelt werden. Sie wird von der Anknüpfung an den für nichtig erklärten Reststimmenausgleich (§ 6 Absatz 2a BWahlG) und die früheren Listenverbindungen gelöst und unter Anknüpfung an die zweite Stufe der Sitzverteilung nach § 6 Absatz 6 BWahlG im neuen § 6 Absatz 7 BWahlG geregelt.

Folgefrage: Überhangmandate und Landeslisten[↑]

Einer Sonderregelung für den Fall, dass eine Partei in einem Land mehr Direktmandate als Listensitze zustehen, bedarf es nach dem Entwurf nicht mehr. Zwar bleiben in der ersten Stufe der Sitzverteilung die von Wahlbewerbern einer Partei nach § 5 BWahlG in den Wahlkreisen gewonnene Sitze den erfolgreichen Wahlbewerbern und der Partei erhalten, wenn ihre Zahl die nach § 6 Absatz 2 und 3 BWahlG n.F. – für die Partei ermittelte Sitzzahl übersteigt (§ 6 Absatz 4 Satz 2 BWahlG n.F.; bisher § 6 Absatz 5 Satz 1 BWahlG). Zur Ermittlung des Ergebnisses der Wahl nach Landeslisten wird nach dem Entwurf die Zahl der zu vergebenden Sitze aber solange erhöht, bis bei bundesweiter Oberverteilung in der zweiten Stufe der Sitzverteilung jede Partei die nach der ersten Stufe ermittelte Sitzzahl zuzüglich der nach der ersten Stufe noch nicht anrechenbaren Wahlkreissitze erhält (§ 6 Absatz 5 Satz 1 BWahlG n.F.). Bei der anschließenden Unterverteilung in den Parteien werden jeder Landesliste mindestens so viele Sitze zugeteilt, wie die Partei in den Wahlkreisen im Land Sitze errungen hat (§ 6 Absatz 6 Satz 2 BWahlG n.F.). Nach der neu eingeführten zweiten Stufe der Sitzverteilung verfügt darum in keinem Land eine Partei über mehr Direktmandate als ihrer Landesliste in dem Land Listensitze zustehen, sondern immer mindestens über genau so viele Listensitze wie Direktmandate.

Durch die zweite Stufe der Sitzverteilung entspricht das Sitzverhältnis zwischen den Parteien vollständig dem Zweitstimmenverhältnis unter den Parteien. Zwar wird nach dem Entwurf nicht auch innerhalb der Parteien der Vorteil derjenigen Landeslisten ausgeglichen, bei denen Wahlbewerber der Partei mehr Direktmandate gewonnen haben als nach der ersten Stufe Listenmandate auf die Landesliste entfallen wären. Die Sitzzahl wird zur Wahrung einer vertretbaren Bundestagsgröße nur so weit erhöht, dass alle Wahlkreismandate auf Listenmandate der Landesliste anrechenbar sind und eine Kompensation zu Lasten anderer Landeslisten der Partei vermieden wird. Nach Ausgleich und Anrechnung aller Überhangmandate in der zweiten Stufe der Sitzverteilung verfügt aber künftig keine Partei in einem Land über mehr Direktmandate als ihrer Landesliste nach § 6 Absatz 6 Satz 1 und 2 BWahlG n.F. – Listenmandate zustehen. Keiner der nach § 6 Absatz 2 bis 7 BWahlG n.F. – vergebenen Sitze wird also künftig nur von einer Mehrheit der Erststimmen und nicht auch von dem Erfolg der Zweitstimmen getragen.

Da es nach dem Entwurf solche Überhangmandate also nicht mehr gibt, ist die für diesen Fall durch das 18. BWahlGÄndG vom 17. März 2008 normierte Sonderregelung gegenstandslos und der bisherige § 48 Absatz 1 Satz 2 BWahlG kann künftig entfallen. Es bleibt danach bei der Regelung, dass auch dann, wenn ein erfolgreicher Wahlkreisbewerber stirbt oder nachträglich aus dem Deutschen Bundestag ausscheidet, aus der jeweiligen Landesliste der Partei nachgerückt wird (§ 48 Absatz 1 Satz 1 BWahlG). Das Zweitstimmenergebnis kann den Sitz weiterhin tragen, weil beim Wegfall des in der Wahl persönlich gewählten Wahlkreisabgeordneten die Anrechnung seines Direktmandats (§ 6 Absatz 6 Satz 3 BWahlG n.F.) auf die Sitzzahl, die der Landesliste gemäß § 6 Absatz 6 Satz 1 und 2 BWahlG n.F. nach dem Zweitstimmergebnis zusteht, rückgängig gemacht wird. Dabei lebt ein Listensitz, den der Wahlkreisabgeordnete durch Anrechnung gemäß § 6 Absatz 6 Satz 3 BWahlG n.F. verdrängt hatte, gleichsam wieder auf. Darum hält die jeweilige Landesliste der Partei mitgewählte Ersatzleute für ausscheidende Wahlkreisabgeordnete vor.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Latest Images

Trending Articles





Latest Images